Ausstellungen

Zwischenräume

 

 

Ansprache Dr. Michael Becker / Schulleitung wfk

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie ganz herzlich zu dieser Ausstellung mit dem Titel „Zwischenräume“ mit Arbeiten der Künstlerin Brigitte Sterz. Brigitte Sterz erreicht in ihrer Malerei eine krisenträchtige Mischung aus konstruktiver Rationalität, strategischer Planung mit mathematisch-technischer Anmutung, maltechnischer Präzision auf der einen Seite und malerischer Organizität, farblicher Vielfalt und Lebendigkeit auf der anderen Seite. Es entstehen so in einigen Bildern - so will ich es einmal bezeichnen - hybride Organismen, die von einem anderen Stern zu kommen scheinen, als hätten sie sich das organische Leben unseres Planeten einverleibt und sich in bionische Wesen verwandelt. Die Symbiose aus Konstruktion und Organizität führt den Betrachter dabei in unwirkliche, magische Zwischenräume, von denen man nicht so genau weiß, ob man sie wirklich betreten sollte, obgleich man sie bereits betreten hat. Die Suggestivkraft von rationalisierter Farbe erwirkt nämlich einen räumlichen Sog in magische Welten hinein. Trotz oft statischer Errichtungen erfahren wir keinen ästhetischen Stillstand. Vielmehr provoziert die konstruierte Raumfarbigkeit eine permanente Wahrnehmungsbewegung, die nicht zur Ruhe kommen kann, obgleich die meist statischen Strukturen ihrerseits Ruhe und Ausgeglichenheit versprechen.

Der Betrachter verstrickt sich in ästhetische Krisengeflechte. Streng geplante Gitter und Netzwerke bilden den Aktionsrahmen für die krisenhafte räumliche Entfaltung der Farbe. Nicht selten besteht eine gestaltete Unklarheit über die räumliche Verortbarkeit einer Farbe oder Farbschicht. Vielmehr changieren diese je nach eingestelltem Blickwinkel. Zwischen den räumlichen Ebenen gibt es also keine Eindeutigkeit. Positives wirkt negativ, Negatives positiv. Diese gestaltete Unschärfe zieht sich konzeptuell durch viele Werke und Werkzyklen von Brigitte Sterz. Zwischenräume zwischen dem Eindeutigen, Klaren, Identifizierbaren, letztlich zuverlässig Messbaren bilden für künstlerische Ausdrucksformen enormes Potential, im Betrachter Ehrfurcht vor den schwankenden Grundfesten des Seins zu evozieren.

Erkenntnisse der Quantenphysik lehren uns eine unbestimmbare Sphäre des Seins, mit der Brigitte Sterz künstlerisch kokettiert. Ein Vordringen ins Allerkleinste, in die Welt der Quanten, der kleinsten möglichen Energiepakete, offenbart uns einen Seinsbereich des Unbestimmbaren, des Zufälligen, des nur Möglichen. Es ist doch erstaunlich, wie überhaupt Ordnungsstrukturen und letztlich Leben auf der Basis einer derart fremden Welt des Zufalls und der puren Wahrscheinlichkeiten entstehen und existieren kann. Und dennoch entstehen aus ihnen festere Strukturen, die auf einmal Verlässlichkeiten produzieren. Dass Rationalität aus unzuverlässigen Irrationalitäten emergiert, das ist schon eine merkwürdige Dialektik, die uns die Natur zu bieten hat.

Brigitte Sterz dreht diesen dialektischen Spieß um, indem sie von rationalem bildnerischem Kalkül zu den Gebieten des Irrationalen, Uneindeutigen, Unzuverlässigen, Irritierenden vordringt, diese freisetzt und uns dadurch an unsere zufallsbestimmten Ursprünge erinnern lässt.

Die beeindruckenden Lasuren, die Brigitte Sterz aufwendig anlegt, bilden Schicht um Schicht Repräsentationen von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem, simultane Bestandteile eines kosmischen Schöpfungsprozesses. Wenn ein Bild schichtenweise entsteht, hat es für die Künstlerin viel zu erzählen, es gibt viel zu erleben und viel zu hoffen. Vergleichbar mit kosmischen Ereignissen wie die Entstehung eines schwarzen Lochs verdichtet sich Schicht um Schicht Materie und zieht alles in ihren Bann, kulminierend im Unbekannten jenseits des Ereignishorizontes. Energetische Verdichtungen sind in den meisten Bildern von Brigitte Sterz an der Tagesordnung.

Brigitte Sterz begann vor knapp 10 Jahren das Studium an der Wiesbadener Freien Kunstschule. Mit Eifer und klugen Fragen angelte sie sich an der Leiter der Kunst immer weiter empor. Im Zuge integrierte sie sich in das Team der wfk und wurde seitdem zu einer unverzichtbaren Mitarbeiterin. Aktuell leitet sie das Vormittagsstudium Carpe Manem, zusammen mit Mechthild Woestmann, den Fachbereich Druckgrafik sowie das an unsere Kompositionslehre angelehnte Synthetische Zeichnen. Brigitte Sterz kann stolz auf sich sein, wir sind stolz auf sie.

Liebe Gäste, die Beschäftigung mit Kunst ist kein bloßer Zeitvertreib. Sie ist eine Lebensform, die Philosophie, Metaphysik und das leibliche Leben mit dem Handwerk verbindet und in Einklang bringt.

Kunst erspürt das große Unbekannte. Sie dringt in Gebiete vor, die für unseren Verstand unerreichbar sind. In diese Gefilde einzudringen ist ein Wagnis, sowohl für den Künstler als auch für den Betrachter. Ich hoffe, dass Sie bereit sind, dem Wagnis, dem sich Brigitte Sterz stellte, zu folgen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Freude.

Vielen Dank!

Wiesbaden, den 11.11.2018


 

 

 

 

 

Wolfgang Becker